Vom Pathos der Tiere: Vortragsreihe "Tierschutz" gestartet

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Zum Auftakt der öffentlichen Vortragsreihe „Tierschutz“ sprach Prof. Dr. Albrecht Müller zum Thema „Sollen wir Tiere wie Menschen behandeln?“

- Auftakt der öffentlichen Vortragsreihe „Tierschutz“ an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen -

NÜRTINGEN. (hfwu) Der Tierschutz ist Teil des Grundgesetzes. Aber warum genau erachten wir Tiere überhaupt als schützenswert? Mit dieser Frage befasste sich Prof. Dr. Albrecht Müller im Rahmen des Studium generale an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen. Der „Schleier des Nichtwissens“ und radikale Konsequenzen sind Teil seiner Antwort.

Mit seinem Vortrag unter dem Titel „Sollen wir Tiere wie Menschen behandeln?“ eröffnete Prof. Albrecht Müller jetzt die öffentliche Vortragsreihe „Tierschutz“ an der HfWU. Mit seinem Referat gab Müller einen Überblick über die vielfältigen Argumente bei der Diskussion um den Tierschutz. Zu den umstrittensten gehöre die pathozentrische Begründung, die das Leiden (griech. Pathos) der Tiere in den Mittelpunkt rückt. Tiere haben Empfindungen und können demnach leiden wie Menschen, argumentieren die Verfechter dieser Position. Wenn wir auf die Empfindungen von Menschen Rücksicht nehmen, muss daher auch auf die Empfindungen der Tiere Rücksicht genommen werden. Die Praxis aber, beispielsweise bei der Massentierhaltung, sieht oft anders aus. „Hätte dieses Argument allgemeine Gültigkeit, in der Tierhaltung wie bei Tierversuchen, müsste ein radikales Umdenken stattfinden“, so Müller. Wenn es für Menschen wie Tiere ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit gibt, so der nächste gedankliche Schritt des Professors für Umweltethik, dann stellt sich die Frage, was generell für die Gültigkeit von Grundrechten spreche. „Der Schleier des Nichtwissens“, so Müllers Antwort. In einer Ursituation, in der keiner wissen kann, ob ihn die Sonnen- oder Schattenseiten des Lebens erwarten, ob er zu den Intelligenten oder weniger Schlauen gehören wird, würden wir uns eine Rechtsordnung geben, die der größtmöglichen Mehrheit die größtmöglichen Grundrechte garantiert. Dieses berühmte Gedankenexperiment des US-amerikanischen Philosophen John Rawls ist zwar ein überzeugendes Argument für den Verzicht und zugleich die Gewährung von Grundrechten, so Müller. Bei der Anwendung im Tierschutz habe es aber Grenzen. Denn Tiere können nicht wie Menschen an einen derartigen Grundrechtevertrag mitwirken. Aber sie können Gegenstand des Vertrags werden, führte der HfWU-Professor die Rawlsche Idee weiter. Zum Beispiel schlicht dadurch, dass wir Mitleid mit den Geschöpfen haben und ihnen so Grundrechte gewähren.

Das pathozentrische Argument im Tierschutz steht und fällt mit der Einschätzung der Leidensfähigkeit der Tiere. Andere Grundlegungen des Wohls der Tiere nehmen die Interessen des Menschen in den Blick. Müller erwähnte unter anderem die Überlegung von Kant, nach der ein roher Umgang mit Tieren zu einer Verrohung des Menschen beitrage. Albert Schweitzer dagegen sah in der Ehrfurcht vor dem Leben den Schlüssel zum Tierschutz. Tiere wollen wie Menschen leben und verdienten daher die gleiche Achtung. Nur von artgerechten und damit gesunden Tieren auch gesunde Lebensmittel zu erhalten, sei ein weiterer nachvollziehbarer Tierschutzgrund, so Müller. Oder schlicht das Wohl des Menschen. Denn es gibt Menschen, die leiden, wenn sie Tiere leiden sehen.

Nach dem ethisch-philosophischen Einstieg in die Vortragsreihe nähert sich Prof. Dr. Thomas Richter dem Thema Tierschutz biologisch-naturwissenschaftlich und greift das deutsche Tierschutzrecht am Beispiel der Nutztierhaltung auf (9. November). Zum Abschluss spricht Dr. Andreas Franzky über „Das wohlbehütete Pferde – über den Umgang mit einem sozialen Nutztier“ (23. November). Die öffentlichen Vorträge finden jeweils um 19.30 Uhr auf dem Innenstadt Campus der HfWU in Nürtingen (Neckarsteige 6-10, Gebäude KII Raum 002) statt. Nach den Referaten gibt es Gelegenheit mit dem Referenten und anderen Teilenehmern in Gespräch zu kommen. Zwischen Geislingen und Nürtingen wird jeweils ein Busshuttle angeboten, Abfahrt ist um 18.30 Uhr in der Parkstraße 4 in Geislingen.

Udo Renner, 31.10.2011