Solidarisch resilient

Published at |

Zur „Resilienz in Zeiten postfaktischer Verunsicherung“ sprach Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn in der Nürtinger Stadthalle. (Foto: HfWU/Renner)

ZNE-Leiter Prof. Dr. Christian Arndt, VHS-Bereichsleiterin Petra Garski-Hoffmann und der Referent Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn (Foto: HfWU/Renner).

Risikoforscher Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn bei VHS-Vortrag in Nürtingen; Vortrag mit Unterstützung der HfWU

NÜRTINGEN (hfwu). Was ist wahr, wem können wir vertrauen, wie angemessen kommunizieren? Für den Risikoforscher Ortwin Renn sind das die zentralen Fragen in einer verunsicherten Welt. Kluge Antworten darauf haben mit Resonanz und Solidarität zu tun. Der renommierte Wissenschaftler sprach bei einem Vortrag in Nürtingen.  

Eine Epoche ist vorbei, eine wirklich neue aber hat noch nicht begonnen. Das ist für Prof. Dr. Dr. Ortwin Renn die gesellschaftliche Situation in der wir uns befinden. Wir wissen was war. Unklar ist was kommen wird. Die viel verwendete Vorsilbe „post-“ ist zum Marker für diesen Übergangszustand geworden. Die Rede ist von einem postmodernen, postdemokratischen vor allem aber postfaktischen Zeitalter. „Es wird selbst für Fachleute immer schwieriger, zu sagen, was wahr ist und was falsch“, sagt Renn, „wir wissen mehr, aber unser Wissen ist unsicherer geworden.“ Die Wissenschaft habe in einer immer komplexeren Welt den einstigen Wahrheitsanspruch abgelegt. Sie sei vielfältiger, widersprüchlicher und weniger verlässlich geworden.

Der international renommierte Risikoforscher sprach auf Einladung der VHS Nürtingen im fast voll besetzten Panoramasaal in der Stadthalle. Unterstützt wurde die Veranstaltung vom Studium generale der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Ein Grußwort kam von HfWU-Professor Dr. Christian Arndt. Von radikalen Antworten auf die postfaktische Verunsicherung halten Arndt wie Renn wenig. „Mit Blick auf nachhaltige Zukunftsentwürfe ist die Wirtschaft Teil des Problems, aber vor allem auch Teil der Lösung“, so Arndt in seinen Einführungsworten. Er leitet an der HfWU das Zentrum für nachhaltige Entwicklung (ZNE). Von Seiten der VHS, dem Veranstalter, begrüßte Fachbereichsleiterin Petra Garski-Hoffmann den Referenten.

Eine vielfältige, mitunter widersprüchliche Wissenschaft ist keine gute Basis, um Vertrauen zu entwickeln. Und tatsächlich, so Renn, sei das Vertrauen in Institutionen und Eliten stark zurückgegangen. Ein neues Phänomen sei zu beobachten, ein „vagabundierendes Vertrauen“, das mal der einen, mal der anderen Seite entgegengebracht werde. Wenn nicht mehr klar ist, was wahr ist, führt die postfaktische Verunsicherung zu einem generellen Vertrauensverlust. Für Renn das zweite grundlegende Wesensmerkmal unserer Multikrisenzeit. Als drittes sieht der Sozialpsychologe die „Post-Kommunikationskrise“. Kommunikation sei heute oft nur noch Selbstbespiegelung und Selbstbestätigung, nicht selten verbunden mit einer Verrohung der Sprache und einer Abwertung des anderen.

Wie aber klug umgehen mit diesen Risiken einer postfaktischen und postkommunikativen Zeit, wie gesellschaftliche Resilienz entwickeln für die Herausforderungen der Zukunft? Vertrauen in das vorhandene Wissen und die bestehenden Institutionen haben, trotz der Unsicherheiten, ist eine Antwort von Renn. Denn „wir haben kein besseres Wissen als die Wissenschaft“. Zudem komme es mehr und mehr auf Solidarität und Kooperation an. Gerade auch mit Blick auf die zukünftigen Generationen. „Resonanz“, ein Konzept des Soziologen Hartmut Rosa, sei hier ein wichtiger Schlüssel. „Wir brauchen die Stärke des Aufeinanderzugehens, des Zu- und Hinhörens, ein Miteinander“, so der Appell des Risikoforschers. Konkret wäre mehr Bürgerbeteiligung eine Möglichkeit dies zu schaffen. Statt digitaler Echoräume brauche es gemeinsame Lern- und Erfahrungsräume. „Alles andere“, ist Renn überzeugt, „würde die Krisen nur verschärfen“.