Nachhaltiger Hyperion

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Prof. Dr. Thomas Knubben

- Warum Hölderlins Werk und Kultur an sich nachhaltig ist, erläuterte online Vortrag an Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) -

 

NÜRTINGEN. (hfwu) Was Nachhaltigkeit in Bezug auf einen Dichter und im Besonderen bei Friedrich Hölderlin bedeutet, dieser Frage ging ein Vortrag an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen Geislingen (HfWU) nach.

Die HfWU hat sich die Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben lange bevor der Begriff zum Gemeingut wurde. Nachhaltigkeit hat eine ökologische, ökonomische und soziale Dimension. „Aber lässt sich der Begriff sinnvoll auf einen Dichter anwenden?“, fragt sich Thomas Knubben und die Zuseher der virtuellen Veranstaltung im Rahmen des Studium generale an der HfWU. „Die erste Antwort ist einfach“, so der Professor, der Kulturwissenschaft und Kulturmanagement an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg lehrt. „Allein der Umstand, dass wir uns mit Hölderlin noch 250 Jahre nach seiner Geburt beschäftigen, zeigt seine Nachhaltigkeit.“

Mit Hölderlin werde aber vor allem deutlich, dass es einer weiteren Dimension der Nachhaltigkeit bedarf. Denn Nachhaltigkeit finde nicht nur im Äußeren statt. Sie geht auch mit einem veränderten Denken und mit anderen Werten einher. Ergo: „Wir müssen der Nachhaltigkeit eine kulturelle Dimension hinzufügen“, so Knubben.

Damit stellt sich die weiterführende, schon schwerer zu beantwortende Frage, wie denn nun genau Nachhaltigkeit bei einem Dichter und seinem Werk festzustellen sei. Knubben sieht bei Hölderlin eine kultur- und geistesgeschichtliche, vor allem aber eine rezeptive Nachhaltigkeit.

Erfuhr der „Dichter der Dichter“ zu Lebzeiten ein „erhebliches Maß an Scheitern und gänzliche Nicht-Wertschätzung“, wurde er vor gut hundert Jahren wiederentdeckt. Eine erste Gesamtauflage erschien. Immer mehr Straßen und Plätze wurden nach dem schwäbischen Literaten benannt, heute sind es allein in Deutschland fast 700. Und nicht zuletzt habe auch der Hölderlinturm als „visuelle Hauptattraktion in Tübingen“ mit dem Narrativ des genial-verrückten Dichters dazu beigetragen, dass Hölderlin unter die Deutschen kam. Heute ist er international anerkannt, ist in 70 Sprachen übersetzt. Sein Roman Hyperion gehört zum Kanon der Weltliteratur.

„Hölderlin bietet offenbar unendlich viele Möglichkeiten des Anschlusses und der Resonanz“, stellt Knubben fest. Dies sieht er zum einen dem einzigartigen Klang, Rhythmus und der Präzision der Sprache Hölderlins geschuldet. Für den Kulturwissenschaftler „der höchste Maßstab in der deutschen Sprache“.  Zum anderen sei Hölderlin aber keineswegs der weltabgewandte im Esotrerischen fischende Feingeist gewesen, als der er oft gesehen wird. „Er übte herbe Zeitkritik“, hebt Knubben hervor. Er litt an der Entfremdung in der modernen Welt und entwarf eine Vision wie der Mensch seine innersten Bedürfnisse leben kann. Darin war er seiner Tage weit voraus. Auch das macht ihn über den Lauf der Zeit hinaus und besonders heute nachfühlenswert und nachdenkenswert – mit einem Wort: nachhaltig.