Energiewende in homöopathischer Dosis

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Die Energieökonomin Prof. Dr. Claudia Kemfert sprach im Rahmen des Studium generale an der HfWU.

- Spitzenökonomin Prof. Dr. Claudia Kemfert sprach im Rahmen des Studium generale an der Hochschule in Nürtingen -

NÜRTINGEN (hfwu). Die Energiewende ist technologisch problemlos zu bewältigen, volkswirtschaftlich sinnvoll und sie kann das Gemeinwesen stärken. Woran es fehlt ist der politische Umsetzungswille. Zu diesem Schluss kam Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei ihrem Vortrag an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen.

Die Macher des Studium generale an der HfWU hatten offenbar das richtige Gespür. Die Frage, wie Ökonomie und Ökologie von einer klugen Energiewende profitieren können, lockte fast 200 Interessierte an die Hochschule. Antworten gab Prof. Dr. Claudia Kemfert. Die Wissenschaftlerin gehört zu den profiliertesten Energieökonomen des Landes. Am DIW in Berlin leitet sie die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt.

Die Wirtschaft wächst. Mit dem Wachstum steigt der Ressourcenverbrauch. Der Ressourcenverbrauch geht zu Lasten der Umwelt und kommender Generationen. „So war es bisher“, lautet Kemferts Befund. Aber: „Wir leben auf Pump. Mit unserem Lebensstil müssten wir drei Erden in Reserve haben.“ Der Umbau hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft sei daher unabdingbar. Gleichzeitig werde die Zeit dafür immer knapper. Sollten die von der Weltklimakonferenz in Paris gesetzten Klimaziele erreicht werden, müssten wir auf 80 Prozent der bekannten Kohlevorkommen und 60 Prozent der Erdöl- und Gasreserven verzichten und diese im Boden lassen.

Das Argument, Deutschland spiele weltweit mit nur zwei Prozent der klimaschädlichen Emissionen keine maßgebliche Rolle, lässt die Energieökonomin nicht gelten. Zum einen trage das Land „ein großes Paket“ und sei als Industrieland rückblickend für einen großen Teil der bis heute entstandenen Emissionen verantwortlich. Zum anderen ist der Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 in Deutschland immer noch doppelt so hoch wie der weltweite Durchschnitt. Zudem sieht Kemfert für das Land die Chance, international eine Rolle als Innovationstreiber und Technologievorreiter einzunehmen.

Gründe also, die Energiewende beherzt anzupacken, gäbe es genug. Aber bei der Klimapolitik sei Deutschland Weltmeister im Ziele setzen, nicht im Ziele erreichen. Mit dem Klimapaket der Bundesregierung sei zwar ein Anfang gemacht. Aber die dort vorgesehenen „homöopathischen Preise für CO2“ seien viel zu niedrig, um die Menschen zu einer Verhaltensänderung zu bewegen.

Eine Energiewende, die den Namen verdient, beinhaltet für Kemfert im Wesentlichen drei Elemente: einen zügigen Kohleausstieg, eine Verkehrswende und einem Umstieg im Gebäude- und Wärmesektor. „Einfach die derzeit 47 Millionen Pkw zu elektrifizieren funktioniert nicht“. Autos seien faktisch keine Fahr- sondern Stehzeuge. Autos stehen im Durchschnitt 23 Stunden am Tag und belegen eine Fläche, die dreimal so groß ist wie das Saarland. „Hier muss es um eine Verringerung gehen. Individuelle Mobilität muss nicht individuelles Fahrzeug heißen“, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Realisiert werden könne dies mit einer Stärkung des ÖPNV, einer Bündelung und Verlagerung von Verkehr und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz. Bei der Antriebstechnologie gelte „Strom first“. Die Energieeffizienz sei hier am höchsten. Die Kosten für die Batterien würden künftig weiter sinken, eine hundertprozentige Recyclingquote sei schwierig, aber mittelfristig machbar. Bei der Gewinnung der für die Batterieherstellung notwendigen Rohstoffe müsse sich die Politik deutlich mehr für soziale und Umweltstandards einsetzen.

Neben dem Verkehr ist der Gebäude- und Wärmesektor wichtig. Hierauf entfällt ein Fünftel des gesamten Energieverbrauchs. Die Abkehr von wenigen großen Kraftwerken hin zu einer dezentralen Energie-Erzeugung, eine bessere Abstimmung von schwankender Nachfrage und bereitgehaltenem Angebot und größere finanzielle Anreize für die Energieeinsparung könnten hier die Wende einleiten.

„Ich wünsche mir mehr Mut für einen Wandel“, so Kemfert zum Schluss ihres Vortrags. In der Energiewende lägen gerade für die Unternehmen enorme Chancen. Für die Menschen könne sie die Teilhabe stärken und sie sei ein wichtiger Baustein für den Erhalt des Wohlstands. Studien des DIW und anderer Forschungseinrichtung zeigten, dass der vollständige Umstieg auf erneuerbare Energie in allen Sektoren wirtschaftlich und technisch machbar sei. Diese Vorteile müssten besser erklärt und kommuniziert werden. Woran es in Sachen Energiewende aber in erster Linie mangele sei der politische Wille.