Auf dem Weg zur Stadt von Morgen

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Während des Tages der Immobilie erhielten zwölf Studierende des HfWU-Studienganges Immobilienwirtschaft Auslandsstipendien der Treubau-Stiftung und des Freundeskreises Immobilienwirtschaft. Außerdem bekam Julia Linke einen Preis des Freundeskreises für ihre Abschlussarbeit.

- Tag der Immobilie thematisiert IBA 2027 – Tagung der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt -

NÜRTINGEN (hfwu). Ein ehemaliger Prorektor als Beauftragter, eine koordinierte Projekt- und Veranstaltungsplanung und ein interdisziplinärer Ansatz. Die Internationale Bauausstellung IBA 2027 der Stadtregion Stuttgart ist für die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) ein zentrales Projekt. Zu sehen war dies beim 39. Tag der Immobilie des Studienganges Immobilienwirtschaft.

Gäste aus der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft waren geladen, um sich von HfWU-Professoren und externen Experten über die IBA-Planungen informieren zu lassen. Laut Thomas Bopp, dem Vorsitzenden des Verbandes Region Stuttgart, geht es um nicht weniger als darum, „wie wir künftig leben, arbeiten und wohnen wollen“. 100 Jahre nach der denkwürdigen Werkbund Ausstellung, die zur Stuttgarter Weißenhof-Siedlung führte, hat die Region wieder die Chance, globale Lösungen für städtebauliche Herausforderungen zu entwickeln. Für Bopp hat der IBA-Zug Fahrt aufgenommen und es gehe nun darum, mit dem neuen IBA-Intendanten Andreas Hofer einen Prozess anzustoßen, der klärt, wie „dezentrale Stadtregionen nachhaltig und lebenswert“, funktionierten. Die Trennung von Wohnen und Arbeit, die die Industrieregion prägt, ist für Bopp ein Relikt der Vergangenheit. Ein verantwortungsvoller Umbau der Industrieregion sei gefragt. Gleichzeitig sei die Kompetenz der Region bei Architektur und Bauingenieurwesen international einmalig. „Nirgendwo wird mehr für Forschung und Entwicklung ausgegeben“. Beste Voraussetzungen also für künftige Lösungen der Stadtentwicklung. Die sollten sich laut Bopp durchaus auch außerhalb vorhandener Zwänge entwickeln. Der ehemalige HfWU-Prorektor Prof. Dr. Willfried Nobel nimmt diesen Ball gerne auf. Er sieht die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt als Vertreterin des „Südens der Region“. Die Hochschule wolle gemeinsam mit anderen eine Plattform sein, um Projekte rund um die Bauausstellung in die Öffentlichkeit zu transportieren. An drei konkreten Projekten arbeite die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt derzeit, eines davon sei ein regionales Kompetenzzentrum Dachbegrünung.

Mitten drin im IBA-Prozess ist man in Heidelberg. Carl Zillich verantwortet dort die Internationale Bauausstellung, die von 2013-2022 stattfindet. Auf ehemaligen Militärflächen entsteht dort eine Wissensstadt von morgen, eine Zukunftskommune des 21. Jahrhundert. Der Ansatz vereint die Stadt und die Wissenschaft und verfolgt das Ziel einer „senseable city“. Zillich ergänzt den Begriff der „smart city“ mit dem Anspruch, nicht einfach aus einer Autostadt eine digitale Stadt zu machen. Ihm geht es darum, auf dem Weg zu einer digitalen Gesellschaft nicht nur technokratisch vorzugehen und die Fehler zu vermeiden, die während der Industrialisierung gemacht wurden. Es geht um menschliche Bedürfnisse angesichts der globalen Megatrends.

Menschliche Bedürfnisse, um die geht es auch dem Berliner Politikberater Dr. Josef Girshovich. Seine nackten Zahlen zeigen eine Entwicklung, die an Grenzen stößt. In den 50er Jahren bewohnte ein Mensch rund 20 Quadratmeter Fläche. Heute sind es 47. Gleichzeitig fehlen in Deutschland zirka 1,5 Millionen Wohnungen. Dazu kommt: in den Städten wird ein Drittel der Fläche von Straßen und Parkplätzen belegt. Vor diesem Szenario entwickelt Girshovich seine Vision des künftigen Wohnens, das Wohneigentum gänzlich neu definiert. In seiner Prognose werden die Wohnungen kleiner. Waschräume, Küchen und soziale Räume werden dagegen gemeinsam genutzt. Eine neue Kultur des Teilens verändert das Wohnen: „Waschmaschine, Trockner, Grill und auch das Auto: Sharing Economy betrifft alles, was um das Wohnen herum benötigt wird“. Und das Eigentum? Die Tendenz beim Wohneigentum beschreibt Girshovich heute bereits als negativ: Mehr Ältere als Jüngere besitzen Wohnraum: „Es gibt zu viele befristete Arbeitsverhältnisse, sie sind das Todesurteil für jeden Kredit“. Für Girshovich sind dies Signale, dass der Wandel bereits stattfindet, dass das Teilen und Mieten das Kaufen verdrängt. Dass dies vor allem in den Städten stattfindet, ist für den Berliner Berater ein infrastrukturelles Problem. „Der Datenverkehr ist entscheidend“. Menschen müssen nicht in den Städten wohnen. Jedoch fehle im ländlichen Raum die digitale Infrastruktur, die sei zwingend für die Zukunftsfähigkeit.

Professor Cornelia Bott stellt dieser technokratischen Sicht einen ökologischen Blick entgegen. Jede Stadt, jede bebaute Fläche, brauche Freiräume. Gleichgültig wie Bauen und Wohnen künftig organsiert sei. Dass es daran mangelt und wachsende Städte immer mehr Druck auf die freien Flächen ausüben, sei auch eine Frage des fehlenden Willens. Gerade Städte bräuchten Freiräume mit biologischer Vielfalt. Es sei die Haltung, die über Qualität und Gestaltung entscheide, so die Landschaftsarchitektin. Sie gab ein Plädoyer dafür ab, Wohnen und Biologie zu vereinen. Die IBA 2027 biete auch dafür in der Region eine große Chance. Damit sprach Bott auch im Sinne von Thomas Bopp, der anfangs den notwendigen Landschaftsschutz bei jeglichem Strukturwandel und die Rückgewinnung des öffentlichen Raums beschworen hatte.

Einen weiteren Ausflug in die Wohnung von Morgen unternahm SasaVujinovic. Der Digitalexperte aus der Wohnungswirtschaft beschrieb ein Szenario, in dem der digitale Fortschritt Leben, Wohnen und Arbeiten umfassend verändert: Mehr Zeit für Freunde, weniger Arztbesuche, mehr online-Käufe, mehr Mobilität, weniger stationäres Arbeiten, weniger Eigentumswohnungen und mehr vollmöblierter Wohnraum. Aber: Für diese Realität fehlen die Datennetze. „Wenn die Netze nicht zentral gebaut und verwaltet werden, werden wir keine Breitbandverkabelung bekommen. Solange dies nicht geschieht, wird es keinen Fortschritt geben“, so das harte Urteil.

Nürtingen, 17.04.2018 Gerhard Schmücker