„Was ist im Kopf von Beuys damals passiert?“

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Ron Manheim und Prof. Roswitha Bader beim Beuys-Vortrag an der HfWU in Nürtingen.

- Studiengang Theatertherapie lud zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Beuys und dem Nationalsozialismus -

NÜRTINGEN (hfwu). Auf Einladung des Studiengangs Theatertherapie sprach der Kunsthistoriker Ron Manheim an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen zur Einordnung von Joseph Beuys in Bezug zum Nationalsozialismus. „Ausblendungsantisemitismus“ und „unter einer esoterischen Käseglocke“ so die mitunter harsche Kritik von Manheim am Jahrhundertkünstler vom Niederrhein.

HfWU-Studiendekan Prof. Johannes Junker eröffnete mit einem Vorwort den Abend. Die ehemalige HfWU-Professorin Roswitha Bader führte in das Schaffen und Werk von Beuys ein. Organisiert hatte den Vortrag der Studiengang Theatertherapie in Kooperation mit dem Referat für Technik- und Wirtschaftsethik (rtwe). Der Vortrag inklusive Lesung aus dem Buch in der Aula der ehemaligen Hochschule für Kunsttherapie (HKT) hatte eine kleine, aber umso interessiertere Zuhörerschaft gefunden.

In Ron Manheims neuem Buch „Beim Wort genommen“ setzt sich der Kunsthistoriker mit der Einordnung des Aktionskünstlers und Bildhauers Joseph Beuys in Bezug zum Nationalsozialismus auseinander. Manheim präsentiert in dem zum 100. Geburtstag von Beuys erschienenem Werk Ergebnisse einer jahrzehntelangen Forschung. Manheim, langjähriges Direktionsmitglied des Beuys-Museums Schloss Moyland am Niederrhein, schärfte eingangs den Blick für die häufige „Haltung uneingeschränkter Bewunderung Beuys‘“ und beschrieb den Bildhauer als eine Person, „die weit weg von der Realität ihrer Zeit“ lebte. Der Beuys-Forscher bezog sich unter anderem auf das „Joseph Beuys Handbuch“ (Timo Skrandies und Bettina Paust, 2021) und kritisierte humorvoll die „großen Sünden“ und „Schwachstellen“. Nach Manheim kommen in der Betrachtung Beuys‘ einige Aspekte zu kurz. So etwa die Überbewertung von Rudolf Steiner und dessen Einfluss auf den Künstler. "Beuys war ein verblendeter Antroposoph, der unter einer esoterischen Käseglocke lebte", so der Befund des Kunsthistorikers. Kritisch sieht Manheim zudem die Verharmlosung des Nationalsozialismus und die germanozentrische Denkwelt. Mit zahlreichen und immer provokanteren Zitaten Beuys‘ zeigte der Mitbegründer des Beuys-Archivs die Realitätsentfernung des Künstlers auf und behielt sich dabei einen ironischen Lesestil vor. So blieb ein Schmunzeln für die Absurdität der Zitate bei der Zuhörerschaft trotz aller Ernsthaftigkeit nicht aus.

„Das schwierigste Thema, welches mich persönlich trifft – auch weil ich Beuys-Forscher bin – ist der Ausblendungsantisemitismus“, wie es der Referent mit einer Wortneuschöpfung nennt. So zitiert Manheim Beuys mit den Worten: „Man muss ja zugeben, dass – etwa im Gegensatz zu heute – damals die Situation für die Jugendlichen in gewisser Weise ideal war, um sich auszuleben. Es kann keine Rede davon sein, dass wir manipuliert worden sind […].“ „Man muss kein großer Pädagoge sein“, so Manheim, „um zu wissen, dass die HJ-Jungs sich natürlich freifühlten, aber man muss blöd sein, in seinem rückblickenden Urteil zu sagen: Es kann keine Rede davon sein, dass wir manipuliert worden sind.“ Dies zumal der Bildhauer solche und ähnliche Aussagen im reifen Alter getätigt habe.

Trotz aller Kritik an Beuys, merkte Manheim zum Schluss des Vortrags an: „Ich bin niemand, der Beuys für immer weghaben möchte“ und betonte überdies die Genialität des Künstlers. Damit war die abschließende Fragerunde im Plenum eröffnet, bei der auch die Thematik der Trennbarkeit zwischen Künstler und Werk diskutiert wurde. Zum Ende des Abends konnten die Gäste signierte Exemplare des Buches „Beim Wort genommen“ erwerben.

Yasmin Habaal