Nicht vom Gebäude, vom Menschen her denken – Immobilienkongress 2021

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GdW-Präsident Axel Gedaschko: Die Kosten für effektiven Klimaschutz im Gebäudesektor werden unterschätzt. (Foto ©: Nilshausenaufotografie)

- 21. Immobilienkongress der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) nahm Standortbestimmung der Branche vor -

NÜRTINGEN(hfwu). Vor welchen neuen Herausforderungen steht die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft nach der Bundestagswahl? Unter dieser Leitfrage stand der 21. Immobilienkongress an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Eine Herausforderung, das zeigte die Tagung, sind sinnvolle Regulierungsmaßnahmen, die aber die Anpassungsfähigkeit der Menschen nicht mitdenken – und so in der Praxis das Gegenteil bewirken.

In den vergangenen zehn Jahren wurden fast 400 Milliarden Euro aufgewendet, um den Gebäudebestand in Deutschland energieeffizienter zu machen. Im Grunde eine sinnvolle Investition. Wer nun erwartet, dass in diesem Zeitraum der Energiebedarf zurückging, liegt falsch. Er ist so hoch wie vor einem Jahrzehnt. Denn niedrigere Heizkosten ziehen ein anderes Nutzungsverhalten nach sich. Die Menschen heizen mehr, unbedachter oder leisten sich größere Wohnungen, weil die Wärme weniger kostet. Der an der einen Stelle bewirkte geringere Energieverbrauch sorgt an einer anderen für einen höheren. Unterm Strich verschwindet der Einspareffekt. Auf diesen so genannten Rebound-Effekt wies Axel Gedaschko in seinem Referat hin.

Für den Präsidenten des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) gehört wie für die anderen Expertinnen und Experten der Tagung der Klimawandel zu den zentralen Herausforderungen der Wohnungswirtschaft. Der Politik hält Gedaschko vor, den Bürgerinnen und Bürgern selten deutlich zu sagen, welche immensen Summen für einen effektiven Klimaschutz in den kommenden Jahren im Wohnungs- und Bausektor nötig sein werden. Noch mehr soziale Sprengkraft sieht er beim Mangel an bezahlbarem Wohnraum. „Das kann Menschen so weit bringen, ihr Vertrauen in unser politisches System und das Funktionieren der Demokratie grundsätzlich zu erschüttern“, so der Verbandschef. Daher seine Forderung: „Wir müssen Fördermaßnahmen neu denken, nicht mehr vom Gebäude her, sondern von den Menschen, vor allem von den einkommensschwachen, her.“ Dies auch mit Blick auf die teure Schaffung von energieeffizienten Häusern – „sonst sanieren wir uns bezahlbaren Wohnraum weg.“

Auch Andrea Lindlohr sieht im Mangel an bezahlbaren Wohnungen „die soziale Frage unserer Zeit“. Als Vertreterin der Politik hatte die Staatssekretärin im neuen baden-württembergischen Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen die Vortragsreihe der Tagung eröffnet. Zwar boome der Bausektor und auch die Zahl der Baufreigaben in Baden-Württemberg steige, aber angesichts von anhaltend rapide steigenden Mieten und Immobilienpreisen bedürfe es nichts weniger als grundsätzlich „Planung und Bauen neu zu denken“. Dabei sieht die Staatssekretärin eine Vielzahl von Stellschrauben an denen gedreht werden kann. So etwa modulares und temporäres Bauen, die Aktivierung von Bauflächen, eine Anpassung der Grundsteuer, die Städtebauförderung, die Innenentwicklung oder den Landesfonds für Zwischenerwerb.

Der Immobilienkongress ist die Jahrestagung des Studiengangs Immobilienwirtschaft, den die HfWU am Standort Geislingen (Steige) anbietet. Corona bedingt fand die Tagung nicht wie üblich in der Geislinger Jahnhalle, sondern virtuell statt. Mit Fachvorträgen aus Politik, Wissenschaft und Praxis nimmt der Kongress eine Standortbestimmung der Branche vor. Er bietet so vor allem auch den Studierenden einen Überblick zu den aktuellen Trends und vielfältigen Entwicklungen in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft.

Nach den Vorträgen von Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik und von den Branchenverbänden kam die Wissenschaft zu Wort. Dr. Reiner Braun vom Berliner Empirica Institut stellte seine statistischen Analysen vor, die zeigen, wie sich der Mietendeckel auf den Wohnungs- und Immobilienmarkt in Berlin ausgewirkt hat. Mietspiegel, so zeigte er am Beispiel der Hauptstadt, geben die Komplexität des Wohnungsmarkts oft unzureichend oder sogar falsch wider. Den Berliner Mietendeckel, der vom Bundesverfassungsgericht im April für verfassungswidrig erklärt wurde, wie generell eine Mietpreisbindung hält Braun für keine taugliche Maßnahme, den Wohnungsmarkt zu regulieren. Langfristig käme es neben anderen negativen Auswirkungen wie ausbleibende Investitionen und Modernisierungen auch hier zum Phänomen, dass sich eine grundsätzlich gute Idee in der Praxis ins Gegenteil verkehrt. Werden die Mieten via Mietendeckel günstiger, so das Beispiel des Sozialwissenschaftlers, werde es für manche WG erschwinglich, nach Auszug eines Mitbewohners nicht neu zu vermieten und den freigewordenen Wohnraum etwa als Gemeinschaftsraum selbst zu nutzen. Statt neuen günstigen Wohnraum zu schaffen, wird das Marktangebot durch den Mietendeckel so verknappt. Ein weiteres Beispiel für den Rebound-Effekt.

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