Von Tripolis nach Nürtingen – Sehbehinderter Libyer an der HfWU

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Marowan Elabad ist fast blind. Dies hindert in nicht daran, internationale Studienaufenthalte zu absolvieren. (Foto: HfWU/renner)

- Erfahrungen eines sehbehinderten Studenten aus Libyen an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen -

NÜRTINGEN (hfwu). Marowan Elabad hat in Tripolis, Perugia und im Sommersemester in Nürtingen studiert. Der Libyer ist stark sehbehindert. Seinen internationalen Weg wird er trotzdem machen, wie er im Gespräch deutlich macht. An der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) gab es eine Rundumbetreuung, um dem Erasmus-Stipendiaten den Besuch von Vorlesungen und Seminaren zu ermöglichen.

Zur verabredeten Zeit klopft eine Kollegin, nicht Marowan Elabad, an der Tür. Sie hat den jungen Libyer im Schlepptau. Elabad ist fast blind. Türschilder lesen kann er nicht, ein Buch oder Vorlesungsskript nur mit Hilfsmitteln. Vom Studieren hält ihn das nicht ab. In Perugia ist der 29-Jährige im Fach Internationale Kommunikation eingeschrieben. Von der Uni in Italien kam er für ein Semester an die HfWU nach Nürtingen.

„In Libyen ist Krieg. Wir haben quasi drei Regierungen, die gegeneinander kämpfen. Einen Abschluss an einer Uni zu machen ist unmöglich. Und es gibt keinerlei Hilfen für Sehbehinderte“, beschreibt der Student was ihn vor vier Jahren zu einem Aufbruch Richtung Europa drängte. Dass es von seiner Heimatstadt Misrata an der Mittelmeerküste nach Italien gehen sollte war klar. „Ich liebe die Kultur des Landes, die Sprache, den italienischen Fußball“, sagt der Erasmus-Stipendiat. Und warum von dort der Abstecher nach Deutschland? „Ich möchte die Menschen verstehen und das geht nur, wenn man ihre Kultur versteht.“ Er kann sich gut vorstellen, später für ein international tätiges Unternehmen zu arbeiten, in Europa oder in Libyen. Am liebsten im Bereich Marketing. Zu Hause in seinem Heimatland war er bereits im Vertrieb tätig.

Elabad lebt mit der Sehbehinderung seit seiner Geburt. „Wie sich das weiterentwickelt kann man nicht sagen. Manche verlieren ihr Augenlicht ganz, bei anderen wird es deutlich besser.“ Mit der Einschränkung hat er sich arrangiert. Das Lesepensum im Studium zu bewältigen dauert für ihn aber trotz technischer Hilfsmittel zwei bis dreimal so lang.

Das International Office der HfWU machte während seines Aufenthalts im Sommersemester eine quasi Rundumbetreuung möglich. Die Mitarbeiter begleiteten den Austauschstudenten anfangs in die Seminare und Vorlesungen, regelten, dass er sämtliche Prüfungen mündlich ablegen konnte und gingen auch mal mit zu einem Arzttermin. „Auch im Wohnheim war ich wirklich gut aufgehoben. Dort habe ich viele neue und immer hilfsbereite Leute kennengelernt“, berichtet der Libyer. Wie das Türschild sind es im Alltag oft kleine Dinge, die Schwierigkeiten machen – und sei es nur das Auswählen des richtigen Programms an der Waschmaschine. Und manchmal sind die Alltagshürden auch ganz anderer Art. So bekommt man in Deutschland nicht einfach einen Behindertenausweis, weil ein anderes Land bereits einen solchen ausgestellt hat. Beim Landratsamt musste er sämtliche Nachweise erneut vorlegen. Den Versuch, per Bahn nach Dresden zu gelangen, brach er nach mehreren verpassten Anschlüssen frustriert ab.

Zurück an die Uni in Tripolis sehnt er sich nicht. Mindestens zehn Jahre werde es dauern bis sich die Lebensbedingungen in Libyen normalisiert haben, schätzt er. In Europa gäbe es zudem viel mehr Unterstützung für Menschen mit Behinderung. Umso länger man mit dem selbstbewussten jungen Mann spricht, umso deutlicher wird, dass dies für ihn nicht der wichtigste Grund war, zu neuen Ländern aufzubrechen. Er spricht vier Sprachen. Eine generelle Offenheit für Neues ist ihm anzumerken. Wohin es ihn für den Master-Abschluss verschlagen wird, hängt auch davon ab, für welches Land er nach Italien und Deutschland ein weiteres Stipendium bekommt. Marowan Elabad blickt zuversichtlich in die Zukunft. Wie es mit seiner Sehkraft weitergeht weiß er nicht. Sich beweisen, dass er es genau so weit bringen kann wie jeder andere, muss er nicht mehr.

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