Heilsame Kunstwerke aus Karton

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Jedes der Kartonkunstwerke wurde mit dem Künstler professionell abgelichtet.

Gruppenbild mit Pappkarton: Die Studentinnen mit ihren Professoren Dr. Tobias Loemke (l.) und Dr. Thomas Staroszynski (r.).

- Kunsttherapeutinnen der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) arbeiteten mit Jugendlichen in psychiatrischer Klinik in der Schweiz -

NÜRTINGEN (hfwu). Kunsttherapeutinnen der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) ermöglichen psychisch erkrankten Jugendlichen in einer Schweizer Klinik, in fantasievolle Rollen zu schlüpfen. Die Selbstinszenierung trägt dazu bei, wieder Vertrauen zu sich und den Mitmenschen zu finden. Das Material der Wahl für die heilsame Verwandlung ist Pappkarton.

„Ich möchte mich fühlen wie sich ein Automat fühlt“, sagt Sebastian (Name geändert). Der Jugendliche blickt mit verhaltenem Stolz auf den mannshohen „Getränkeautomaten“, den er aus Karton und Pappschachteln gebastelt hat. Wie fühlt sich denn ein Automat? „Einsam“, antwortet Sebastian. Den Automaten hat er zusammen mit einer Kunsttherapie-Studentin von der HfWU geschaffen. Eine Woche lang arbeiten insgesamt elf Master-Studentinnen der Hochschule mit Patienten der Klinik Sonnenhof in Ganterschwil. Die Einrichtung gehört zu den modernsten Schweizer Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Die Kooperation mit der Hochschule aus Deutschland startet bereits 2007. „Der Grundgedanken des aktuellen Projekts ist, einen Raum zu schaffen, in dem sich die Kinder und Jugendlichen in all dem zeigen können, was da ist. Mit dem Leichten und dem Schweren. Und so auch über sich hinauswachsen können“, erklärt Prof. Dr. Tobias Loemke. Gemeinsam mit den Kunsttherapeuten Prof. Dr. Thomas Staroszynski und Sabine Staroszynski betreut er als Studiengangleiter das Projekt. Um den Jugendlichen zu erleichtern, in neue, fantastische Rollen zu schlüpfen, bauten Staroszynski und Loemke vier Meter hohe Bühnen, wo sie mit von ihnen entwickelten Kostümen und Kulissen professionell fotografiert wurden. Schon allein der Umstand in diesem Raum im Mittelpunkt zu stehen, stärkt bei den jungen Patienten das Selbstwertgefühl.

Was die Kinder und Jugendlichen mit dem Angebot machen stand ihnen offen. Träume und Wünsche sollten Gestalt annehmen können. Wenn ich dürfte und könnte, wer, wie würde ich sein? Ein Mädchen inszeniert sich als Diva mit Haarschmuck, Fächer und Faltenkleid. Ein anderes mit Pferd und Zorro-Maske. Wieder ein anderes lugt hinter einer meterhohen Palme am Sandstrand hervor. Im Hintergrund sind Wellen angedeutet. Wie bei Sebastians Automaten, alles gefertigt aus Karton, Wellpappe oder Packpapier. „Das einfache, aus dem Alltag vertraute Material macht es leichter, sich auf die kreative Arbeit einzulassen“, erklärt eine der Studentinnen. Sie alle sind mit einem Bachelor-Abschluss bereits ausgebildete Kunsttherapeutinnen. Sie entwickeln über den Masterstudiengang an der HfWU ihr persönliches kunsttherapeutisches Profil, indem sie ein eigenes Praxisprojekt methodisch konzipieren, umsetzen und evaluieren. Das Auftakt-Projekt in Ganterschwil dient auch dazu, Erfahrungen für diese Aufgabe zu sammeln.

Ungewöhnlich ist die enge und zeitintensive Arbeit der Studentinnen mit den Kindern an der Klinik Sonnenhof. Eine Woche lang, täglich fast fünf Stunden, begleitet jede der Kunsttherapeutinnen einen Patienten. „Da ist ein unglaublich intensiver Kontakt, der ein besonderes Kennenlernen und sich Nahekommen ermöglicht“, beschreibt eine der Studentinnen die Arbeit. „Dabei habe ich vor allem gelernt, die richtige Balance zu finden zwischen festen Vorgaben und Freiräumen.“ Höhepunkt und Abschluss der Woche ist eine Vernissage zur Ausstellung der großformatigen Fotografien der jungen Künstler in mitten und als Teil ihrer Karton-Kunstwerke. Die beeindruckenden Aufnahmen sind in den Gebäuden der Klinik ausgestellt. Feierlich überreicht erhält jeder der Jugendlichen ein Fotoposter von sich und seinem Werk.

Sebastians Pappapparat steht noch in voller Größe da. Zu Beginn der Woche hatte er mit seiner Betreuerin keinen Blickkontakt aufgenommen. Das hat sich verändert. Jetzt verschwindet er freudig in seinem Automaten. Einsam fühlt er sich offenbar nicht mehr. Aus einer Luke streckt er dem fremden Besucher die Hand zur Begrüßung entgegen.

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